Stipendiaten für die Künstlerkolonie Willingshausen ausgewählt

Willingshausen in der Schwalm gilt als die älteste Künstlerkolonie Europas. Um 1820 von Gerhadt von Reutern, einem Maler der Romantik und Professor der Kunstakademie in Kassel, ins Leben gerufen, war sie Treffpunkt gleich gesinnter Künstlerfreunde und Kollegen, die, angetan von Landschaft und Landleben, neue Wege in der Kunst, besonders der Malerei, gehen wollten. Die Blütezeit der Kolonie reichte bis ins 20. Jahrhundert und verzeichnete Namen wie Ludwig Emil Grimm, Wilhelm Thielmann oder Carl Bantzer. In der Fortsetzung gibt es seit über zwanzig Jahren hier ein Arbeitsstipendium für junge Künstler/innen, ausgezeichnet mit einer Ausstellung und einem Katalog. Thilo Jenssen, Wien, und Ekachai Eksaroj, Kassel, sind 2016 die 42. Und 43. Stipendiaten.

Thilo Jenssen beschäftigt sich seit Beginn seines Kunststudiums intensiv mit Fragen der Malerei und ihrer Erweiterung. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern ist in seiner Arbeit ein zentrales Moment. An den jüngsten zwei Malereiserien kann man sehen, worum es da geht. „fetish finish failures“(2015) besteht aus neun monochromen Malereien, die mit mehreren Schichten Klarlack versiegelt worden sind. Der Lack hält die labil übereinander gelagerten Farbschichten zusammen und reflektiert gleichzeitig die Umgebung, sodass man das eigentliche Bild nur schwer sehen kann. Im Gegensatz zu der Referenz des Titels, der Fetish-Finsh-Bewegung der 60´er Jahre in Kalifornien, denen es um perfekte Oberflächen ging, thematisieren seine Bilder gerade die von der Perfektion abweichenden Momente. In „smooth operator“(2015) setzt er seine Arbeit „Stabile Zustände“(2014) malerisch fort. Vorlagen aus Erste-Hilfe-Ratgebern und Unfallfibeln löst er aus ihrem Kontext, um neue Bilder zu generieren. Helfende Hände halten einen Kopf und erhöhen die schwer zu ertragende Situation von Hilflosigkeit und Hoffnung ins Porträt.

Mit seinem für Willingshausen geplanten Projekt „Kolabo da capo“ möchte er die Tradition der Malerkolonie wiederbeleben. Er möchte während seines Aufenthalts befreundete Maler/innen zu sich ins „Hirtenhaus“ einladen, um sich mit ihnen in einer spielerisch produktiven Re-Inszenierung der Malerkolonie vor Ort auszutauschen. Dabei soll es nicht um eine Recherche und Analyse der Geschichte und der historischen Werke gehen, sondern tatsächlich und aktuell gemeinsam gemalt werden, um heutige Fragen von Malerei und deren Erweiterung zu erforschen.

Die Leinwände von Ekachai Eksaroj sind z.B. aus Lurex-Stoff und die Malerei ein Paillettenband, aufgenäht als Schriftzug „I don’t care about l’enfer“. Hier mischt sich nicht nur englische und französische Sprache, hier bilden auch Inhalt und ästhetische Form einen Widerspruch. Ekachai Eksaroj liebt das Umspringen von einem offensichtlichen Bedeutungsraum in völlig andere Assoziations- oder Empfindungsräume. Ironie und Witz helfen ihm dabei. „good art next door“(2012) steht in bunten Lettern auf einer Fußmatte. Betritt man doch den Ausstellungsraum, trifft man z.B. auf Regalbretter oder verchromte Haltestangen, die sauber übereinander aber nicht ganz gerade angebracht sind und an (schlecht installierte) minimalistische Arbeiten von Donald Judd erinnern. Gleichzeitig spürt man ein leichtes Ungleichgewicht und entdeckt, (am wohl waagerecht montierten Heizkörper), dass der Fußboden an einer Seite leicht angehoben ist. In einem suchttherapeutischen Zentrum in Bremen hat er jüngst den Vergaberaum in eine Hotellobby verwandelt, indem er den Weg zu dem Tresen, an dem die  Substitutionsmittel vergeben werden, mit roten Teppichen und Absperrungen aus goldenen Ständern mit dicken roten Kordeln gekennzeichnet hat. An der Decke hängt ein Schwarm von Überwachungskameras, die munter in alle Richtungen blinken als sei gerade Disko.

Ekachai Eksaroj hat vor seinem Kunststudium Modedesign in Berlin studiert und betreibt inzwischen ein eigenes Label mit dem Titel „Lage“. Von hier aus speist sich immer wieder seine Kunst. So hat er in einem Modekaufhaus eine ganze Abteilung eingerichtet, in der er u.a. „abstrakte Skulpturen“ aus goldenen Einkaufstüten aufgebaut hat, edel und großformatig fotografiert, völlig zerrissene Hemden anpreist, begleitet von Verhaltensanweisungen, die wie handgeschriebene Sonderangebote gestaltet sind, mit Texten wie „BIG STEPS! NO SMILE!“ oder „CONFIDENT STRONG WALK! TURN RIGHT!“.

„In meinen Arbeiten verschiebe ich Realitäten“, sagt Ekachai Eksaroj. „Oftmals gestalte ich Orte um mit Ironie und Witz, treibe Gegensätze an Ort und Stelle auf die Spitze.“ Für Willingshausen könnte er sich vorstellen, die Ausstellungshalle in eine Art Department Store im Sinne von colette in Paris oder DOVERSTREETMARKET in London zu gestalten. Diese Stores vereinen Produkte aus Mode und Produktdesign, bieten aber auch Essen und ausgewählte Getränke. „Man könnte einen StreetFood Markt im Sinne eines Talat Rotfai in Bangkok, meiner Heimatstadt, oder vielleicht sogar einem Night Market in Chiang Mai organisieren und damit vielleicht sogar die kulturelle/kulinarische Diskrepanz - sollte so etwas überhaupt existieren – zwischen Platzkuchen und Frühlingsrolle aufheben.“

Thilo Jenssen

1984 in Daun geboren, hat von 2006 -2014 an der Kunsthochschule Kassel und der Universität Kassel Kunst und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien und Bildende Kunst bei Florian Slotawa und Christian Phillip Müller studiert. 2015 erhielt er das Otto-Braun-Stipendium. Seit 2011 waren seine Arbeiten u.a. in Kassel, Dresden, Bremen und Manchester, zu sehen, zuletzt mit "bis gleich, bis gleich" in Berlin. Thilo Jenssen lebt und arbeitet in Wien.

Ekachai Eksaroj  

1978 in Bangok/Thailand geboren, hat 2001-2004 im Lette Verein Berlin Modedesign studiert, absolvierte ein Praktikum bei KENZO in Paris und ist staatlich geprüfter Modedesigner. Er studierte 2007-2012 an der Kunsthochschule Kassel bei Stefan Demary und Urs Lüthi und war 2012/13 Meisterschüler von Thomas Rentmeister an der HBK Braunschweig. Seit 2001 ist er Fashion Stylist, arbeitete an verschiedenen Kostüm- und Bühnenbildproduktionen mit und führt ein eigenes Modelabel unter seinem Namen im dafür gegründeten Showroom für Kunst und Design LAGE Kassel. Seit 2008 zeigt er kontinuierlich seine künstlerischen Arbeiten, u.a. in Düsseldorf, Kassel, Berlin, Hannover, Bremen und New York. Ekachai Eksaroj lebt und arbeitet in Kassel.

 

Das Arbeitsstipendium in der Künstlerkolonie Willingshausen wird getragen von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, dem Kulturförderprogramm der SV Sparkassenversicherung, der Kreissparkasse Schwalm-Eder, der Gemeinde Willingshausen und dem Schwalm-Eder-Kreis. Es beinhaltet je drei Monate Arbeitsaufenthalt mit Wohnung, Atelier und einer finanziellen Unterstützung, die Ausstellung der Ergebnisse der entstandenen Arbeiten in der Kunsthalle des Gerhardt-von-Reutern-Haus in Willingshausen und eine Unterstützung für die Produktion eines Katalogs.