Martha Frieda Friedel und Selina Schwank erhalten Arbeitsstipendium in Willingshausen

Die zwei Arbeitsstipendien für junge Künstler*innen in Willingshausen wurde für das Jahr 2020 an Martha Frieda Friedel und Selina Schwank (Absolventinnen der Kunsthochschule Kassel) vergeben. Nominiert waren außerdem Janosch Feiertag, Wien, Benjamin Loch / Hannah Meisinger, Kassel, und Sarah Wegener, Kassel. Kurator ist Bernhard Balkenhol.

„Die Beschäftigung mit den Begriffen Natur und Natürlichkeit und den damit einhergehenden Vorstellungen und Erwartungen ist ein zentraler Aspekt meiner künstlerischen Praxis. Beide Begriffe sind Konstrukte, die in der Sprache, in der Produktwelt und auch in sozialen Gefügen zum Einsatz kommen und deren Funktionsweise mich fasziniert“, schreibt Selina Schwank im Exposé für das Arbeitsstipendium in Willingshausen. Hinsehen, beobachten, Bezugssysteme aufdecken, Kontexte reflektieren, und immer wieder ganz viele Fragen stellen, ist ihre Methode. „Wo fängt ein Raum an – wo endet er? Wo gibt es Überschneidungen, wo bedingt sich etwas gegenseitig? Wo geht ein privater in einen öffentlichen Raum über und was bedeutet der private für den öffentlichen Raum? Wo verlaufen Grenzen? Was bedeutet Grenzüberschreitung?“ Solche Fragen begleiten Selina Schwank bei ihren tagebuchartigen Aufzeichnungen und unterwegs mit der Kamera oder beim Durchforsten vorgefundener Bildwelten. Sie sieht sich der Ambivalenz von Erscheinungsform und hintergründigem Wissen ausgesetzt, wenn glitzernde Partikel eines für Kinder deklarierten Duschgels z.B. in einem fatalen Kreislauf über die Kanalisation in die Meere fließen, dort von Tieren und Pflanzen aufgenommen werden, die wir Menschen wiederum zu uns nehmen. Forschung heißt für sie, den Anblick und das Wissen vom Ort oder Gegenstand zu irritieren, sich die Faszination als Rätsel aufzugeben, zeichnerische Strukturen zu entwerfen, um solche Zusammenhänge zu erfassen oder zu prognostizieren, und in der Zusammenstellung und Gegenüberstellung Kontexte zu hinterfragen und zu kommentieren. So ästhetisch all ihre entdeckten Objekte, Texturen, Situationen in ihrer künstlerischen Formulierung auch sind, sie stellen schließlich ganz grundsätzliche, schwierige, politische und ethische Fragen.

Auch Martha Frieda Friedel geht es in ihrer Fotografie explizit um Schönheit. Über ihrem Portfolio steht ein Zitat von Susan Sontag (Über Fotografie, 1977): „Niemand ruft: Wie hässlich! Das muss ich fotografieren! Und selbst wenn es jemand riefe, so meinte er damit nichts anderes als: Ich finde dieses hässliche Ding … … schön.“, Marta Frieda Friedel geht es also nicht um ein Ideal, sie sucht das Schöne nicht im Allgemeinen, sondern im Einzelnen und Besonderen. Als Fotografin aber muss es in dem stecken, was sie vor sich sieht, was sie dort entdecken und als Besonderes gestalten kann. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Porträt, Menschen, die sie ansieht, aussucht und die ihrerseits Kontakt aufnehmen und zurückschauen. In ihrem Buch „Jamón Ibérico“, 2015/16, zeigt sie solche Begegnungen. Das Besondere ist, dass sie ein und dasselbe Foto einer Person über mehrere Seiten mit unterschiedlichen Fotografien von Straßen, Orten, Pflanzen, Tieren, etc. kombiniert. Dadurch verändert sich der Ausdruck und die Wahrnehmung dieser Personen vielschichtig. In ihrer jüngsten Arbeit „èclat – Die Ernennung des Schönen“, 2018, hat sie die Personen ins Fotostudio gebeten und sie im Dialog mit ihnen inszeniert. Die Landschaften und Architekturen, die sie diesen Porträts zuordnet, lösen sich in ihrer Ausschnitthaftigkeit und strengen Gestaltung von ihrem tatsächlichen Ort und werden zur Metapher. Und so wie Martha Frieda Friedel sich beim Fotografieren als Regisseurin versteht, wird sie in ihren Ausstellungen zur Layouterin, die den Betrachter durch die Räume führt, als wäre es eine Zeitschrift oder eine Stadt.

Zu den Künstlerinnen

Martha Frieda Friedel, geboren 1989 in Borna bei Leipzig, studierte 2011 – 2018 Fotografie und Kunst an der Kunsthochschule Kassel bei Bernhard Prinz und Florian Slotawa. 2015 verbrachte sie einen Studienaufenthalt an der Escuela de Arte y Superior de Diseño de Valencia in Spanien. Zurzeit ist sie Meisterschülerin bei Ricarda Roggan an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Seit 2012 nahm sie an vielen Ausstellungen teil, u.a. in Berlin, Kassel, Leipzig, Dresden, Hamburg, Montpellier und Valencia. Sie erhielt Preise, u.a. 2014 den Deutschen Fotojugendpreis, und Stipendien, u.a. 2016 den SHOSTA travel grant, 2017 das Stipendium für künstlerische

Abschlussarbeiten des Otto-Braun-Fonds, 2019 den Poznan Photo Diploma Award. Sie hat ihre Arbeiten bereits als Bücher herausgebracht, z.B. 2015 „Jamon Iberico“ oder als Kataloge wie z.B. 2019 „PORTRAITS“ – Hellerau Photography Award und „éclat – Die Ernennung des Schönen“. Martha Frieda Friedel hat eine 9 Jahre alte Tochter, sie lebt und arbeitet in Kassel.

Selina Schwank, geboren 1986 in Frankfurt a.M., studierte zunächst 2007 Kunst- und Bildgeschichte und deutsche Literatur an der Humboldt Universität, Berlin, wechselte 2008 an die Kunsthochschule Kassel und studierte bildende Kunst bei Prof. Bernhard Prinz (Fotografie) und Prof. Dr. Johanna Schaffer (Theorie und Praxis der Visuellen Kommunikation). Sie beteiligte sich seit 2011 an verschiedenen Ausstellungen in Kassel und zeigte ihre Arbeiten auf dem fotobookfestival 2012 im Zuge der Dummy Ausstellung in Paris, Mailand und Leipzig und 2019 auf dem „Athens Photo Festival“. Sie erhielt 2013 das PROMOS-Reisestipendium nach Carvoeiro, Portugal, und 2017 das Stipendium für künstlerische Abschlussarbeiten des Otto-Braun-Fonds, Kassel. 2018 hat sie ihre Abschlussarbeit „Candyland“ als Buch herausgegeben. Selina Schwank ist in verschiedenen Kulturinitiativen aktiv, hat zwei Kinder (4 und 8 Jahre alt), lebt und arbeitet in Kassel.

Das von Bernhard Balkenhol kuratierteArbeitsstipendium für junge Künstler*innen in Willingshausen wird getragen von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, dem Kulturförderprogramm der SV Sparkassenversicherung, der Kreissparkasse Schwalm-Eder, der Gemeinde Willingshausen und dem Schwalm-Eder-Kreis. Es beinhaltet je drei Monate Arbeitsaufenthalt mit Wohnung, Atelier und einer finanziellen Unterstützung, die Ausstellung der Ergebnisse der entstandenen Arbeiten in der Kunsthalle des Gerhardt-von-Reutern-Haus in Willingshausen und eine Unterstützung für die Produktion eines Katalogs.